Startseite
Ulrich Schödlbauer: Kontur der Schwester

JUDITH
Ihr habt meine Psyche -?

PARERGA
Was?

JUDITH
Schon gut. Vergiss es. Was war mit meiner Psyche?

PARERGA
Sie lag in guten Händen. Hast du je unter der Abwesenheit deines Vaters gelitten? Hast du je unter seiner Anwesenheit gelitten?

JUDITH
Wo ist mein Vater heute?

PARERGA
Du kannst ihn im Internet besuchen, er betreibt dort einen Chatroom für Männer. Die sind ganz schön heruntergekommen. Was soll man da noch sagen? Ein Spielzeug haben wir ihnen gelassen.

JUDITH
Du meinst...

PARERGA
Die Vergangenheit. Sie spielen kollektives Gedächtnis, legen die Gesichter in Falten und fühlen sich schuldig.

JUDITH
An den Frauen?

PARERGA
Gelegentlich, ja. Was ich sagen wollte...

JUDITH
Parerga...

JUDITH
Könnte es sein, dass du ein wenig ekelhaft bist?

PARERGA
Könnte sein. Warum nicht. Könnte gut sein. Warum fragst du?

JUDITH
Könnte es sein, dass du mir ein wenig ekelhaft bist?

PARERGA
Judith!

JUDITH
Könnte es sein, dass ich mich jetzt von dir verabschiede, ganz einfach verabschiede? ... Komm schon, du verstehst mich ganz gut. Wir wollen uns hier nicht prügeln, das haben schon andere getan, wir wollen uns auch nicht bloßstellen. Aber hier, ganz einfach hier, aber jetzt, ganz einfach jetzt, du verstehst mich, das wäre doch eine Gelegenheit.

PARERGA
Ich kann dich in dieser schwierigen Übergangsphase nicht allein lassen.

JUDITH
Doch, Parerga, du kannst es. Siehe, ich bin wie du, aber anders, wusstest du das nicht? Diese Psyche, von der du gerade geredet hast, die gibt es doch gar nicht. Da habt ihr jahrelang gebraut und besprochen, das muss eine herrliche Zeit gewesen sein, ich wäre gern dabeigesessen und hätte gelacht. Aber gegeben hat es die, von der ihr meintet, sie sei ich, nie. Und heute gefällt es mir, dir zu sagen: Geh doch. Geh einfach.

PARERGA
Das werde ich nicht tun.

JUDITH
Doch, das wirst du tun. Ich habe auch ein Mittel, es zu erzwingen.

PARERGA
Das müsste ich kennen.

JUDITH
Es ist so einfach. Ich werde mich verkleiden. Hier und jetzt. Ich werde mich so verkleiden, dass du nicht weißt, wo meine Haut aufhört und etwas anderes beginnt. Ich werde mich so verkleiden, dass du nicht weißt, ob die, die da spricht, ein Vogel ist oder ein Baum. Ich werde mich so verkleiden, dass du nicht weißt, ob ich aus dir spreche oder ein Mann oder eine Gans. Ich werde keine Gazelle mehr sein, das verspreche ich dir, und ich lasse den Falken jagen, wo es ihm passt.

Pause. Weich.

Hörst du den Ton? Du hörst ihn, ich höre ihn, wir ihr sie hören ihn, wie denn nicht? Es ist nichts Besonderes, ihn zu hören. Dieser Ton sagt uns nichts, und deshalb gefällt er mir. Ich kann ihn stundenlang anhören, manchmal denke ich, dadurch kommt so ein Vibrieren in ihn hinein, das er sonst nicht hat. Er sagt nichts und er meint nichts. Solange ich ihm zuhöre, sage ich auch nichts und meine auch nichts. Holofern behauptet dann, ich hätte ein Trauma. Ich muss unbedingt ein Trauma haben, das macht mich ihm interessant. Er wäre gern Therapeut geworden, weißt du. Aber du weißt ja alles von ihm, ihr versteht euch ganz gut. Die Frau ist eine Waffe, eine ziemlich scharfe, wenn ich mich nicht täusche. Fragt sich, wer sie in die Hand bekommt. Ihr oder er. Oder keine Seite, das wäre natürlich das Beste.

Scharf.

Geh bitte, ja.

PARERGA
Der Schatten. Hier ist er.

JUDITH
Der Schatten? Wir haben gespielt, Parerga, und jetzt ist es ... ja was? Wenn alles Spiel ist, gibt es kein Spiel, das weiß doch jede. Du wusstest das nicht? Aus welcher Welt kommst denn du? Du solltest dein Haupt verhüllen, damit liegst du wieder im Trend. Du musst ja nicht gleich Asche streuen, das schadet dann eher der Umwelt. Holo und ich werden dir einen schönen Platz im Seniorenheim besorgen, am besten kaufen wir dir gleich eins, dann kannst du noch ein wenig Bewusstsein trainieren.