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Ulrich Schödlbauer: Kontur der Schwester

JUDITH
Heute bist du einer und dein Gefühl sagt dir, dass es richtig ist, so zu handeln. Du bist am Ende und dieser Vertrag gibt dir eine Chance. Was ist, wenn du wieder zu Kräften kommst? Was ist, wenn du siehst, dass es viele sind, die so einen Vertrag unterschrieben haben? Wenn du ihre Gesichter siehst? Ihre Bäuche? Wenn dir missfällt, was du da siehst? Wenn du dir sagst: so einer will ich nicht werden?

HOSNI
Ich sehe solche Männer und es sind viele. Sie haben sich arrangiert, aber sie leiden. Manche leiden auch nicht, die bewundere ich. Vielleicht kann ich sein wie sie: ohne Gefühl.

JUDITH
Du willst sein wie sie.

HOSNI
Ohne Gefühl, ja.

JUDITH zu Parerga.
Du siehst, ich will ihn nicht haben.

PARERGA
Wen? Den Schatten?

JUDY
Ihr da, wenn ihr über mich redet, dann könnt ihr mich auch anhören. Es stimmt, Judith, was du gesagt hast: vielleicht will ich einmal ein Kind von ihm, vielleicht auch nicht. Ich weiß es noch nicht. Was ich aber sicher weiß, ist, dass ich den da durchgestrichen habe in meinem Leben. Ich habe ihn durchgestrichen, ich kann es nicht anders sagen. Ich komme nicht von ihm los, und wenn ich von ihm loskäme, wäre es irgendein anderer. Ich habe ihn durchgestrichen, weil ich einen Willen habe, ich kann es nicht anders sagen. Er hat auch einen Willen, das kann ich verstehen oder ich versuche es. Sein Wille sagt mir: tu das, tu jenes, und mein Wille sagt mir: tu das, tu jenes. Damit komme ich nicht zurecht.

HOSNI
Das ist nicht wahr.

JUDY
Du redest von deiner Wahrheit, ich rede von meiner. Und meine Wahrheit sagt mir, dass ich entweder mich durchstreichen muss oder dich.

HOSNI
Und der Vertrag?

JUDY
Welcher Vertrag? Ich weiß von keinem Vertrag.

HOSNI
Du hast mir einen Vertrag angeboten und ich habe zugestimmt.

JUDY
Du bist ein Traumtänzer, Hosni. Ich habe dir keinen Vertrag angeboten. Ich habe Worte gemacht, die dich verletzen sollten, das ist wahr. Ich hatte keinen Lover, doch ich musste so mit dir reden, um mich verständlich zu machen. Du hättest mich unterbrechen können, aber du hast mir zugehört. Versteh mich nicht falsch, ich rechne dir das hoch an. Aber wenn du glaubst, du hättest mit mir einen Vertrag, dann muss ich dich enttäuschen.

HOSNI
Und unsere Kinder?

JUDY
Deine Kinder? Das meinst du doch: deine Kinder. Ich höre es am Klang deiner Stimme. Ja, du hast zugestimmt, das ist wahr, du hättest auch zugestimmt, wenn ich gewollt hätte, dass du mir die Firma überschreibst, die gerade nichts wert ist, du hättest auch zugestimmt, wenn ich von dir verlangt hätte, sie aufzulösen und auf irgendeiner Insel eine Badehosenexistenz zu führen, denn eigentlich reicht es doch, oder? Oder reicht es nicht? O mein Gott, Hosni! Unsere Kinder. Deine Kinder. So sehr willst du mich töten.

DIE BRÜDER
Wir hören dieser Frau zu und sie hat recht.
Wir kennen dich, Hosni:
du bist einer, der niemals aufgibt.
Wem immer du abschwörst, es steht hinter dem Haus
und wartet auf seine Chance.
Gib sie frei, Hosni, denn sie ist frei.
Dass du das nicht sehen kannst,
macht dich schuldig.

PARERGA greift nach dem Schatten.
Manchmal sind diese Jungs doch zu etwas zu gebrauchen. Gleich werden ihm die Tränen kommen, sie werden sich um ihre dicken Schultern fassen und einen heben gehen.

HOSNI zu den Brüdern.
Seht ihr, das ist so:
solange ihr meine Brüder wart,
wart ihr mir recht. Du, Buckel,
warst mir der liebste. Denn du erinnertest mich daran,
wie unendlich mühsam es ist,
den Kopf oben zu behalten,
und wieviele Zufälle zusammenkommen müssen,
damit es geschieht.
Jetzt, bitte, verlasst dieses Haus,
bevor ich mich vergesse.

JUDY
Das kannst du nicht machen.

PARERGA
Jetzt ist sie übergeschnappt.

JUDITH
Schwester, dein Kampf ist der meine.


Ende des zweiten Akts.