Startseite
Ulrich Schödlbauer: Kontur der Schwester

Wald.

Holofern steigt leise vom Pferd, nähert sich lautlos dem alten Gemäuer, versteckt sich hinter einem Baum. Nichts rührt sich.

HOLOFERN
Wir sind ein seltsames Getier, nicht Mensch, nicht Fisch, da kenne sich einer aus. Der Falke da foppt mich seit Tagen, er fliegt vor mir her und zeigt mir den Vogel, aber ich komm nicht drauf, welcher es ist. Hier wollte eigentlich Judith sein, wenn ich ihren Brief richtig gelesen habe, aber der Schuppen sieht völlig verlassen aus. Wird schon nicht so feucht sein, für eine Nacht geht das. Ich frage mich nur, wohin sie gegangen sein könnte. Aber sie würde mir auf die Finger klopfen, wenn ich sie fragte. Vielleicht kriege ich es aus Parerga heraus, sicher ist das auch nicht. Schwestern! Naja, Halbschwestern, was auch immer. Eigentlich könnte sie ihre Mutter sein. Wenn ich hier weiter Selbstgespräche führe, schlägt mir die Nacht auf die Mütze. Hast du verstanden, Gaul? Keinen Mucks, wenn ich bitten darf.

Parerga und Judith schlendern in das Gemäuer.

HOLOFERN
Sage mir, Falke, wer von uns sollte jetzt in sich gehen? Hier lebt niemand auf zehn Kilometer Entfernung und mich zerbeißt die Eifersucht. Wenn ich schon kein Mensch bin, will ich auch kein Mann sein. Das ist nur gerecht. Ich habe die Spur des Menschen im Sand oft vergehen sehen, sie sah meiner verdammt ähnlich. Bloß in einem Punkt unterscheiden sie sich: In welchem? Ich hab ihn vergessen. Neinnein, ich hab ihn vergessen. So ein idiotischer Vogel ist wie ein Gedächtnispulver, das an den Stellen brennt, die man geschont wissen wollte. Wenn sie mich schon belügt, könnte sie es wenigstens klüger anstellen. Der Falke hat sie einmal gestellt, jetzt stellt er sie wieder. Ein teures Tier, ziemlich edel, uneingedenk der Folgen. Es weiß nichts von unserer Beziehung. Dass ich nicht der Jäger Gracchus bin, geht nicht in diesen Schädel, wahrscheinlich wöge er sonst zuviel zum Fliegen.

Er zieht einen Pfeil.

Ein spitzes Ding, ohne Zweifel. Wenn man es so ansieht, könnte man Bedenken bekommen, ob man recht daran tut, sie zu jagen. Man tut es aber und fragt nach den Gründen nicht. Meine Penthesilea geht fremd, ich schmecke es, ihr Achill heißt Parerga vielleicht oder Julian oder Karajan, es geht auch mit Toten. Es kommt nicht darauf an, ob es geht. Eher stellt sich die Frage... wer wen.

Wirft den Pfeil weg. Verschwindet pfeifend.