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Ulrich Schödlbauer: Kontur der Schwester

JUDITH frontal zum Publikum.
Ich, Judith,
eine Tochter aus gutem Hause,
belesen bis zum Abwinken,
bewandert in den Schriften alter Männer
und alter Frauen, erfahren in den Debatten
um den richtigen Kurs und im falschen Zungenschlag,
nicht verlegen um den Zugang zur Macht und zum Machthaber,
wer immer es sei, ich sah die brennenden Türme
am Horizont wie ihr und wusste, dass die Zeit der Spiele vorbei ist.
Aber ich sah auch, wie sich alle zurücklehnten
und ein neues Spiel begann: das Spiel um die Macht,
die dem zerbröselt, der nach ihr greift.

Im Hintergrund Holofern, kommt tänzelnd auf sie zu.

Ich sah meine alte Mutter den Tanz der Salome tanzen
um eine Schüssel, auf der ein Schweinskopf lag,
und sah alle alten Frauen applaudieren.

HOLOFERN legt die Arme von hinten um sie.

JUDITH
Ich sah einen alten Mann, die Hände auf die Brüstung gelegt und den Kopf darauf, er hätte mein Vater sein können, aber als ich sein stumpfes Gesicht sah und seine fleischigen Hände, da zuckte es in mir auf und ich schrie vom Trapez: aufhören, aufhören, und wusste schon, wo ich aufschlagen würde und dass ich den Schmerz kontrollieren könnte, ebenso gut wie die Freude, was nicht so einfach ist.

Dreht sich lächelnd um.

Ah, Steinerner, da bist du ja. Lass dir die Stirn fühlen, das kühlt ja mächtig.

HOLOFERN, zerstreut.
Ganz sicher? Ich dachte, ich sei außer Atem.

JUDITH
Außer Atem gestellt, was denn sonst. Weißt du, ich kenne da ein gutes Lokal in den Bergen. Du jagst doch gern.

HOLOFERN
Hm. Fragt sich, wer wen.

JUDITH
Du fragst Sachen.


Ende